In einem Online-Fragebogen, der in engem Austausch mit der
Kulturinitiative vor Ort erstellt wurde, konnten die Menschen im
Dorf bis zum 18. September 2020 angeben, wie sie sich fühlen, welche
Entwicklungen sie sich wünschen, was ihnen fehlt, welche
Sehnsuchtsorte sie in der Welt haben, welche Künstler*innen ihnen
etwas bedeuten und welche konkreten Orte sie sich vor Ort erträumen,
unabhängig von der tatsächlichen Machbarkeit.
Über 40 Wunschorte kamen zusammen, neben den Spitzenreitern Hofladen
und Cafe auch ganz konkrete Vorschläge "Kino an der Scheunenwand auf
der kleinen Wiese am Spielplatz" und "Tele-Disco an der
Telefonzelle".
Das Team vom Theater R.A.M. – Mark Roberts und Manuela Hörr zusammen
mit Ausstatterin Ines Glawe – entwickelte einen
Wochenplan zur Verwirklichung möglichst vieler dieser
Orte.
Aus hygienischen Gründen konnte bei den Angeboten nur teilnehmen,
wer sich vorher angemeldet hatte, auch die Gruppengröße war
beschränkt – mal aufgrund des Angebots, mal aufgrund von
Covid-19. Es gibt im Dorf keine Praxis des Zusammenkommens. Dort
wollten wir ansetzen. Uns war wichtig, zu zeigen, dass gerade jetzt
in der Pandemie der öffentliche Raum ein Ort sein kann, an dem man
auch trotz Abstands in Kontakt kommen und bleiben, miteinander
verhandeln und etwas bewegen kann. Natürlich bedeutete es mehr
Aufwand, alles gut zu planen und pandemiegerecht abzusichern. Aber
es hat sich gelohnt. Wenn 50 Dorf-Bewohner*innen eine Woche lang an
verschiedenen öffentlichen Orten ungewöhnliche Dinge tun und dabei
Spaß haben, bleibt das selbst in einem Schlaf-Dorf nicht ungesehen.
Und so malten Kinder, Jugendliche und Erwachsene Schilder für
ihre Wunschorte, diese wurden in einer Performance mit Musik an
die entsprechenden Plätze verbracht, und diese Orte dann Tag für
Tag durch Bespielung, immer mit nötigem Abstand und bei
Einhaltung aller Hygieneregeln, eingeweiht.
Auf dem Tanzboden (einem Platz zwischen Grundschule und Kirche)
konnte der "Shim Sham Shimmy", ein Swingtanz, gelernt werden. Im
Anschluss gab es Impulse vom Theater R.A.M. zur Jugendbewegung
der „Swing Kids“, zu Sehldes zwangsweisem Anschluss an das
Jagdgebiet Hermann Görings und dem seit Kriegsende unerfüllt
gebliebenen Wunsch nach der Rückgliederung in den LK Hildesheim
sowie eine Lesung aus Briefen eines Paares im 2. Weltkrieg.
Ein Stichwort bei der Abfrage von Wunsch-Treffpunkten war
"online". Wir haben den Medienbus des Landkreises Wolfenbüttel
eingeladen, sein Fortbildungsangebot zur Medienkompetenz
anzubieten. Daneben haben wir zu unserem Online-Dorf-Puzzle
eingeladen. An einem zentralen Platz konnten die Mitspielenden
"Foto-Ansichten" ihres Dorfes, die sie vorher eingereicht
hatten, in verschiedenen Schwierigkeitsstufen wieder
zusammensetzen.
Im Open-Air-Kino, dessen Leinwand eine Gruppe Jugendlicher aus
Bettlaken nähte und an die Scheunenwand nagelte, wurden Best
Practice-Beispiele aus anderen Dörfern sowie die Arbeit vom
Theater R.A.M. vorgestellt.
Im Sehlder Beschwerdechor konnten sich die Bewohner*innen ihren
Frust von der Seele singen.
Highlight war am Abend der Deutschen Einheit die Tele-Disco:
Eine noch leerstehende Telefonzelle, die demnächst zur
Bücherzelle umgebaut werden soll, wurde für eine
Lichtinstallation zwischengenutzt, Kreidekreise auf der Straße
markierten die Tanzplätze auf Abstand und zuvor eingesammelte
Songwünsche stellten sicher, dass alle sich auf Abstand und
dennoch zusammen austoben konnten.
Abschluss bildete am Sonntag das Pop-Up-Café, dessen Verortung
in der Mitte des Dorfes in einer demokratischen Abstimmung
beschlossen worden war. Hier wurden die unter dem Workshop-Titel
"Das Ei des Hubertus" von Dorf-Bewohner*innen geschriebene
"Lügen"-Geschichten vorgelesen und eine Dorf-Schatzkarte
vorgestellt, auf der im Laufe der Woche reale Orte und
Wunschorte verzeichnet worden waren. "Ich bin in Sehlde geboren
und aufgewachsen, aber ich wusste nicht, was es hier alles zu
kaufen gibt" merkte ein Zaungast der Veranstaltung an.
Schließlich wurde eine "Huberta" gesucht, die zusammen mit
Unterstützer*innen fortan im "Huberta-Club" die entstandenen
Kunstwerke archiviert und die künstlerische Dorfentwicklung weiter
verfolgt. Maren, 16 Jahre alt, hat dieses Amt übernommen und wird
dabei von Freundinnen und einigen Erwachsenen unterstützt. "Ich fand
auch gerade gut, dass es was zum Mitmachen war und nicht bloß zum
Hinsetzen und Zugucken.", sagt die 16-Jährige. "Für mich als eine
der Hubertas geht es in dem Sinne weiter, die Ideen und Vorschläge
der Dorfbewohner*innen so gut wie möglich umzusetzen und selber auch
mal öfter die Initiative zu ergreifen, wenn mal was gemacht werden
muss."